wenn Ärger sich von selbst beruhigt (Ärger, Frust und Selbstbeherrschung)
Am Abend, als der Duft von Reis und Kräutern durch das Haus zieht, sitzen Leo, Mia und ihre Katze Yin in der Küche. Leo hat stundenlang an einem Bild gearbeitet – einem Geschenk für Meister Tanaka. Mit dem feinen Pinsel malt er einen Tempel, Bambus und Berge.
Doch als er kurz aufsteht, springt Yin auf den Tisch, schnuppert neugierig – und setzt ihre Pfote mitten in das noch feuchte Bild. Ein dunkler Pfotenabdruck zeichnet sich nun auf dem schönen Bild ab.
„Yin!”, ruft Leo wütend. Er schnappt das Blatt, will es retten, reißt dabei jedoch eine Ecke ein. Mia lacht erschrocken auf.
„Nicht lustig!”, schreit Leo. „Das Bild ist zerstört! Gar nichts ist mehr schön!”
Er knüllt das Bild zusammen und schleudert es in den Papierkorb. Die Katze flieht unters Regal, Mia schweigt, und in der Stille hört man nur noch Leos Atem – schnell und laut.
Beim Abendessen spricht niemand viel. Leo starrt auf seinen Teller. Irgendetwas in ihm ist noch immer aufgewühlt, wie Wasser, das man zu stark umrührt. Schließlich steht er auf, zieht seine Jacke über und geht hinaus in den Garten.
Leo weiß: Wenn er nicht mehr weiterweiß, dann geht er zu seinem Meister.
Er atmet tief durch, spürt den kühlen Abendwind und erinnert sich an die vertrauten Worte: „Egal, was dich bedrückt – Mit jedem Problem kannst du zu mir kommen. Ich bin immer für dich da!”
Im Garten riecht es nach feuchter Erde. Meister Tanaka sitzt auf der Holzbank beim Teich, als hätte er schon gewusst, dass Leo kommt. „Ich wollte nur malen, Meister”, beginnt Leo leise, „aber dann … hab ich alles kaputt gemacht. Yin hat mein Bild zerstört. Und ich war so wütend, dass ich’s zerknüllt hab. Ich hasse es, wenn ich so bin.”
Der Meister hebt langsam den Kopf, nickt kaum merklich und steht schließlich auf.
„Weißt du, Leo”, beginnt Meister Tanaka sanft und blickt in die Ferne, „ich erinnere mich an etwas, das mein Meister mir zeigte, als ich so alt war wie du, und was dir vielleicht helfen kann.”
Gemeinsam gehen sie an den Rand des Teiches.
„Schau hin”, sagt der Meister ruhig. Er nimmt einen dünnen Bambusstock und tippt in die klare Oberfläche. Ein kleiner Kreis läuft davon. Dann rührt er kräftig: Blätter steigen auf, Schlamm löst sich, und die Spiegelung des Himmels verschwindet.
„So sieht dein Inneres aus, wenn du dich im Zorn drehst”, sagt er. „Aufgewühlt. Getrübt. Du siehst nicht mehr, was wirklich da ist.”
Er legt den Stock beiseite. Nichts weiter. Nur Stille.
Der Wind legt sich. Nach einer Weile sinken die Blätter, der Schlamm gleitet nach unten, und das Wasser wird wieder klar.
Leo beobachtet still.
„Also muss ich nur warten?”, fragt Leo schließlich.
„Warten – und nicht weiterrühren”, antwortet der Meister. „Wenn du dich nicht weiter ärgerst, nicht weiterhin darüber nachdenkst – dann findet dein Herz von selbst zurück zur Ruhe.”
„Wie lange dauert das?”
„So lange, wie das Wasser braucht, um zu sinken: manchmal zehn Atemzüge, manchmal eine Stunde.”
Leo sieht in den Teich. „Aber was, wenn etwas kaputt geworden ist – so wie mein Bild?”
Der Meister nickt leicht. „Dann kannst du das Wasser trotzdem wieder klar werden lassen – auch wenn ein Blatt darin schwimmt. Es muss nicht perfekt sein, um schön zu sein. Oder du malst einfach ein neues Bild. Manches, was kaputtgeht, macht Platz für etwas Schöneres.”
Leo schweigt eine Weile. Dann hebt er den Blick. „Und was, wenn … ich selbst etwas kaputt gemacht habe – und es nicht mehr gutmachen kann?”
Der Meister sieht ihn lange an und spricht leise: „Dann kannst du verzeihen – zuerst Yin, dann dir selbst. Das ist wie beim Teich: Wenn du aufhörst, dich zu ärgern, sinkt der Schlamm ganz von allein.”
Leo atmet aus. Der Wind legt sich, das Wasser glättet sich. In seinem Inneren wird es stiller.
Als Leo später nach Hause kommt, ist es schon dunkel. Mia sitzt am Küchentisch und malt, Yin liegt zusammengerollt neben ihr.
Leo bleibt kurz in der Tür stehen. Die Wut von vorhin ist verschwunden. Er geht zu Mia und schaut ihr über die Schulter. „Schönes Bild”, sagt er leise.
Dann holt er aus dem Papierkorb das zerknüllte Blatt hervor. Es ist ein wenig eingerissen, die Farbe verschmiert, aber er streicht es vorsichtig glatt. Yin hebt den Kopf, als wollte sie sich entschuldigen.
„Schon gut”, flüstert Leo und streicht ihr sanft über das Fell. Dann nimmt er einen Pinsel – und malt einfach weiter.
Im Wasserbecher schwimmt etwas Farbe, ganz ruhig. Nichts trübt es mehr.
👉 Sensei erschnüffelt das Wichtigste
- Wenn du wütend bist, ist dein Herz wie ein Glas mit Sand und Wasser.
- Wenn du es schüttelst, wird alles trüb.
- Wenn du es hinstellst, sinkt der Sand – und du siehst wieder klar.
- Also: Halt kurz still, atme, und schau, was passiert. Der Ärger wird kleiner, genau wie der Schlamm am Boden. Dann beruhigt sich alles—und du kannst wieder gut entscheiden.
